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Zur Debatte um “wissenschaftliche Autorschaft” und “Science 2.0″ (Teil 2) – “Autorschaft als Werkherrschaft”

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Im folgenden Beitrag möchte ich einige Überlegungen von Roland Reuß zur „Autorschaft“ und deren Entwicklung im “Web” vorstellen und im Hinblick auf die in Teil 1 von „wissenschaftliche Autorschaft und Science 2.0“ genannten Aspekte diskutieren: Die Definition von Autorschaft, das Verständnis des Autors als souveränes Subjekt, der Begriff des geistigen Eigentums, der Bezug zum Urheberrecht und die Konzeption von “Wissen/ Wissenschaft als Ware”.

Roland Reuß ist Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Heidelberg und Mitbegründer des Instituts für Textkritik e.V. (ITK). Er ist zudem Initiator des Heidelberger Appells “für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte” vom März 2009. Reuß‘ an Öffentlichkeit, politische Parteien und Kreative gerichteter Aufruf zum Engagement für den Schutz der kreativen Leistung des Einzelnen hat in der nationalen Debatte um die Reform des Urheberrechts große Wellen geschlagen. So z.B in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), in welcher Reuß seit 2009 bereits mehrfach Artikel zum Thema veröffentlichte.

Autorschaft wird in seiner Perspektive, wie in der Überschrift zu diesem Beitrag schon angedeutet, als “Werkherrschaft” gesehen. “Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit” heißt auch ein von ihm, gemeinsam mit Volker Rieble, herausgegebener Tagungsband, welcher im Kontext einer gleichnamigen Tagung in Frankfurt am Main vom 15./16. Juli 2009 entstanden ist.

Wiedergabe der zentralen Argumente von Reuß

Zentrale Grundlage der folgenden Ausführungen und Überlegungen ist Reuß’ Beitrag “Autorenverantwortung und Text” zu eben jenem Tagungsband.

Reuß beschreibt den Autor hier als Verantwortlichen für sein Werk, dessen Verantwortung auch dann nicht endet, wenn er es in die Öffentlichkeit entlässt. Verdeutlicht wird dies durch einen Verweis auf den römischen Dichter M. Valerius Martialis und eine Analogie zur Beziehung von Eltern und Kind.
Im von Martialis entlehnten Beispiel wird das Werk dabei mit dem freigelassenen Sklaven verglichen, der durch öffentlichen Akt des Herumführens auf dem Forum Romanum aus der Sklaverei entlassen, nicht durch andere Herren erneut versklavt werden durfte. Ebenso wie die „Dienstbarmachung“ des Freigelassenen nicht nur gegen den Willen des ursprünglichen Herren verstoße, sondern auch ein Eingriff in das Freiheitsrecht des ehemaligen Sklaven darstelle, sei auch der nicht-authorisierte Übergriff auf das Werk eines Anderen – z.B. in Form eines Plagiats – ein Eingriff in den „spirituellen Gehalt“ des Werks selbst. (Reuß 2009a, S.10f.)

In der Analogie zur Elternschaft steht hingegen der Verantwortungs- bzw. Erziehungsaspekt im Fokus. Ähnlich der Beziehung von Eltern zu ihren Kindern sieht Reuß ein „geistiges und sittliches Band“ zwischen Autor und seinem Werk. Es ist die Hingabe an das schöpferische Werk, die Beschäftigung mit der Sache der man gerecht werden wolle, die den Autor in seinem Schaffen antreibt. Ein Werk, in das man viel Zeit investiert hat und das einem nahe steht, entlässt man nicht einfach schutzlos in die Welt. Ähnlich wie die Sorge der Eltern das Kind auf dem Weg in die Selbstständigkeit begleitet, endet auch die Sorge des Autors um sein Werk, Reuß zufolge, keineswegs mit der Veröffentlichung. Ausgehend von der Ansicht, dass ein Werk immer auch eine Wirkungsabsicht beinhaltet, liegt es in der Verantwortung des Autors, Bedingungen zu schaffen die eine bestmögliche Wirkungsentfaltung ermöglichen. Es gilt, nach genauster Abwägung, Wege und Institutionen zu wählen. Wobei der Weg, für Reuß, idealerweise die Auswahl eines geeigneten Verlags beinhaltet: Eines Verlags, welcher, als Institution in helfender Funktion, einen Kontext zu schaffen vermag, der die Wahrnehmung und beabsichtigte Wirkung des Werks begünstigt. (Ebd. S. 12f.)

Unter dem Einfluss neuer Medien, den technischen Möglichkeiten des Internets und der Open Access Bewegung, wird dieser verantwortungsvolle Umgang mit dem Werk, so Reuß’, den Autoren jedoch zunehmend erschwert. Diese Erschwernis äußere sich dabei in mehreren Aspekten. So könne ein oberer Listenplatz im „ranking“ einer Internet-Suchmaschine nicht nur keineswegs die gleiche Sichtbarkeit in der wissenschaftlichen Gemeinschaft gewährleisten, wie sie durch die Publikation in einem angesehenen Verlag gewährleistet wird. Die anonyme Kontrolle eines Servers könne dem Werk auch nicht den gleichen Schutz bieten – z.B. vor nicht autorisierten Kopien oder Weiterverarbeitungen. Auch Dienstleistungen wie „GoogleBook-Search“ mit deren Funktion des „snippet-view“ sind Reuß’s Verständnis nach höchst problematisch, da bei Google immer wieder auch Texte zu finden seien, die außerhalb bestehender Partnerschaftsprogramme eingescannt und mit „OCR-Software“ in Klartext zurückverwandelt worden sind. Ebenso fänden sich, über die „Klartextsuche“, nicht autorisierte Textauszüge (so genannte „snippets“). Diese technischen Vorgänge seien nicht nur ein Verstoß gegen geltendes europäisches Recht, sondern kämen oftmals einer Amputation der betroffenen Werke gleich. Leicht könne ein falscher Eindruck eines Werks entstehen, da in willkürliche Passagen Einblick gewährt würde, während zentrale Aussagen nicht zugänglich seien. (Ebd. S.16) Die Ermunterung vieler wissenschaftlicher und staatlicher Einrichtungen, wie z.B. der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), zur Online-Publikation sieht Reuß daher als höchst bedenklich an. (Ebd. S. 14) Dies gilt seiner Ansicht nach insbesondere für politische relevante Inhalte:

„Gewiß wird kein vom Verfassungsschutz beobachteter server Tabelle 37 eines avancierten mathematischen Kalküls auf seine webseite hochladen. Aber wer schritte eigentlich dagegen ein, wenn eine unter open-access-Bedingungen publizierte Monographie zur Geschichte des Rechtsradikalismus in Deutschland in der Bundesrepublik Deutschland sich, mit Beleidigungen und Denunziationen versehen, auf einem solchen server fände – in einem Kontext, den der Autor niemals verantwortet hätte und dies möglicherweise noch in überarbeiteter Form? Eine Universitätsbibliothek? Die Rechtsabteilung einer Universität? Justiziare der DFG oder Max-Planck-Institute? Keine Vorstellung erscheint mir in Kenntnis der realen Verhältnisse irrealer. Muß ich so etwas als Autor dann einfach erdulden oder allein ohne Solidarität, ohne die Ressourcen eines Verlages ein Verfahren einleiten?“
(Ebd. S.15. Hervorhebungen wie im Original)

Die Selbst-Publikation im Open Access Format auf einem Online-Server, ohne die schützende Allianz mit einem starken Verlag, vergleicht Reuß mit der Ablieferung der eigenen Kinder im nächstbesten Stadion, massenhaft eingepfercht mit zehntausenden anderen Schicksalsgenossen, der Kontrolle anonymer Aufseher unterworfen. “Ein Autor, der genötigt wird, sich einem solchen Verfahren zu unterwerfen, hat sich damit einverstanden erklärt, seine Kinder zu verstoßen.” (Ebd. S.14) Jeder Autor, so seine Forderung, muss daher das Recht und die Möglichkeit haben, sich dagegen zu entscheiden. (Reuß 2009b)

Die zunehmende Fürsprache für Open Access Formate in den Wissenschaften durch Organisationen wie die “Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen” und deren Förderung durch staatliche Einrichtungen bleiben für Reuß daher nicht nur unverständlich, sondern erscheinen ihm geradezu gefährlich. Die, durch das Web geschaffenen, neuen Möglichkeiten der Selbstpublikation träten in Konkurrenz zu den bestehenden Wissenschaftsverlagen und erhöhten somit den ökonomischen Druck auf die Verlage. Ein Druck der durch weitreichende öffentliche Strukturmaßnahmen noch zusätzlich verschärft werde. So gingen beispielweise Universitäten, im Rahmen der „Exzellenzinitiative“, zunehmend dazu über bei Anträgen auf Druckkostenzuschüsse Motivationsschreiben einzufordern, in welchen inhaltliche und/oder formale Gründe anzugeben seien, die gegen eine elektronische Publikation sprächen. Selbst die DFG übe Druck auf Autoren und Verlage aus, in dem sie die finanzielle Förderung von elektronischen wissenschaftlichen Fachzeitschriften gegenüber herkömmlichen Printformaten erleichtere. (Reuß 2009a, S.13f.)

Letztlich, so Reuß, minimiere jede Form von Maßnahme, die dazu anhalte auf elektronischem Wege zu publizieren, die Chance der Autoren auch bei einem Verlag veröffentlichen zu können. Schon allein weil, unter regulären Bedingungen, kein Verleger der Publikation eines möglichen “Naherwartungsdigitalisats” zustimmen würde. Wenn aber Autor und Verlag nicht mehr zusammenfinden und ihre bisherige Allianz zerbräche, so seine Prognose, könnte dies auf längere Sicht den Tod der wissenschaftlichen Verlagsbranche und die Unmöglichkeit jeglicher verantwortungsvollen Fürsorge um Wirkung und Entwicklung des eigenen Werks nach sich ziehen. (Ebd. S.14).

Entgegen populärer Argumentationen der Befürworter von Open-Access Modellen, sieht Reuß hinter der Verteidigung klassischer Verlagsmodelle keine vorrangig ökonomischen Interessen. Eine hingebungsvolle und verantwortungsvolle Arbeit, wie sie durch die Kooperation von Autor und Verlag gewährleistet wird, verursache Kosten und habe deshalb auch berechtigterweise ihren Preis. Hinter dem Argument der vermeintlichen „Gier“ der Kreativen und Verlage, sieht Reuß daher vielmehr die „Gier“ derjenigen „Nutzer“, die alles immer sofort und umsonst haben wollten. (Ebd. S.17f.)

Eigener Kommentar

Zentral für die vorangehenden Ausführungen Reuß’ scheint mir vor allem sein spezifisches Verständnis von Autorschaft. Der Autor erscheint in Reuß’ Darstellung als souveränes Subjekt. Gegenüber seinem Werk hat dieser Autor nicht nur einen eigentumsrechtlichen Anspruch, sondern auch eine moralische Verantwortung. Eine Verantwortung, die insbesondere die dirigierende Einflussnahme auf die Wirkung des Werkes betrifft.

Der Begriff des „Werks“ scheint dabei stark an traditionellen wissenschaftlichen Publikationsformen, etwa der Monographie, dem Sammelband oder dem Aufsatz orientiert. In Reuß‘ Argumentation wird davon ausgegangen, dass Werke und verantwortlicher Autoren  einander zugeordnet werden können und müssen. Der hervorgehobene rechtliche Begriff des „geistigen Eigentums“ setzt eine eindeutige Zuordnung notwendigerweise voraus. Auch die Fragen der Vergütung, der Sichtbarkeit, der wissenschaftlichen Prestige und die Diskussion um „Wissen als Ware“ werden an eine eindeutige Identifikation von Autorschaft/Urheberschaft gekoppelt.

In der Praxis erweist sich eine solche Zuordnung allerdings keineswegs immer als einfach. Phänomene wie z.B. die in technischen und naturwissenschaftlichen Publikationen auftretende „Ehrenautorschaft“, also die Nennung renommierter Forscher eines Labors oder Instituts ohne dass diese einen nennenswerten Teil zur Veröffentlichung beigetragen haben, lassen sich nur schwer mit Reuß‘ Verständnis der verantwortungsvollen Autor-Werk-Beziehung vereinbaren.

Zu Hinterfragen ist sicherlich auch, in wie weit sich Reuß‘ Vorstellungen von Autorschaft, auf andere Textformate jenseits der traditionellen Monographien, Aufsätze und Sammelbände übertragen lassen. Der „Werkbegriff“ in Reuß‘ Argumentation deutet auf ein weitgehend geschlossenes Textverständnis hin. Werke werden als feste und relativ unveränderliche Textkörper präsentiert, deren Inhalte und Formate nach ihrer Endredaktion nur eher selten weitere Ergänzungen oder Umgestaltungen erfahren. Wenn doch Veränderungen eintreten, etwa in Form einer Neuauflage, so sind sie von der vorherigen Textversion unabhängig.

Neben vielfältigen Ansätzen der Überführung dieser traditionellen Text- und Publikationsformate, beispielsweise in Form elektronischer Zeitschriften, finden sich im „Web 2.0“ allerdings auch weitere, alternative Formen des  Schreibens und Publizierens. Mit der von Reuß’ vorgestellten Konzeption der „Autoren-Werk-Beziehung“ erweisen sich diese neuen Formen oft wenig kompatibel.

Verdeutlichen lässt sich dies etwa am Beispiel der interaktiven und kollaborativen Schreib- und Publikationspraktiken, der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Inhalte und bis zu einem gewissen Grad auch Formate von beliebigen Artikeln können hier jederzeit vom Kollektiv der anonymen, da hinter Pseudonymen verborgenen, Autoren revidiert, ergänzt oder auch gelöscht werden. Zwar lässt Wikipedia Vergleiche mit älteren Textversionen zu, von einem festen Textkörper im Sinne von Reuß‘ Werkbegriff kann jedoch kaum die Rede sein.

Freilich gelten Wikipedia-Artikel nicht als „wissenschaftlichen Publikationen“, selbst wenn sich unter den dort versammelten Autoren durchaus auch einige Akademiker tummeln und sich die Enzyklopädie, auch unter Wissenschaftlern, als schnelle Nachschlagehilfe zunehmender Beliebtheit zu erfreuen scheint. (Schröter, Fredericke, 2011) Das Beispiel Wikipedia verdeutlicht jedoch die Probleme, die angesichts eines Versuchs der Übertragung von Reuß‘ Konzept von Autorschaft auf alternative, insbesondere kollaborative, Schreibpraktiken und Textformen auftreten können. Ein Umstand, der auch dadurch Relevanz gewinnen könnte, dass jenen neuen Praktiken und Textformen des Web 2.0 – wie „Wikis“, „Blogs“ und „Social-networks“ – auch in wissenschaftlichen Communities zunehmend Interesse entgegengebracht wird. (Kantel, Jörg 2007)

Unabhängig davon in wie weit man Reuß‘ Ideale einer moralisch verantwortlichen Autorschaft teilt, oder ob man seiner Kritik an Open Access und seiner Prognose vom Druck der Online-Publikationen auf die Verlagslandschaft zustimmt, ergeben sich aus dem Verhältnis von Autorschaft und Text vielfältige Fragen, die einer Antwort harren.

Sollten auch Verfasser von Kommentaren zu Textentwürfen, deren Anregungen in den Text einfließen, unter den Autoren dieser Texte aufgeführt werden? Kann solchen Kommentatoren und Ideengebern eine moralische (Mit-)Verantwortung für den Text zugesprochen werden, welche in Reuß Argumentation mit der Autorenschaft verbunden ist? Wo liegen die Grenzen dieser Verantwortung, wo die des geistigen Eigentums welches es zu schützen gilt? Und wie sind diese Fragen mit den Vorstellungen von „guter wissenschaftlicher Praxis“ verbunden?

Auch wenn viele dieser Fragen keineswegs neu sind und der Debatte um „Autorschaft und web/web 2.0“ vorrausgehen, so sind sie doch eng mit dieser verbunden. Möglicherweise sind sie ja sogar offen für neue Antworten.

Literatur:

  • Kantel, Jörg (2007), Web 2.0.: Werkzeuge für die Wissenschaft, in: Hermann, Klaus (Hg.), 23. DV-Treffen der Max-Planck-Institute, 15.-17. November 2006 in Berlin, GWDG-Bericht Nr. 71, Göttingen (GWDG) 2007, S. 3 – 39. Der Text ist online verfügbar: Link zum Text  [Stand: 12.02.2012]
  • Reuß, Roland (2009a), Autorenverantwortung und Text, in: Reuß, Roland/ Rieble, Volker (Hgg.), Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit (=Symposium Frannkfurt, 15. Juli), Vittorio Klosterman, Frankfurt a. M., S. 9-21. Alle Texte des Sammelbandes sind online verfügbar: Link zum Text [Stand: 12.02.2012]
  • Reuß, Roland (2009b), Ist die Publikationsfreiheit in Gefahr? In: duz MAGAZIN, Vol. 10 2009, S. 42. Der Text ist online zugänlich: Link zum Text [Stand: 12.02.2012]
  • Schröter, Frederike (2011), Vorsichtige Annäherung. Die Wissenschaft entdeckt das Wikipedia-Prinzip für sich, in: Die Zeit, 13.01.2011,  Nr.3. Der Artikel ist online verfügbar: Link zum Text [Stand: 12.02.2012]
  • Heidelberger Apell für Publikationsfreiheit und Wahrung der Urheberrechte (2009) – Der Text und die Liste der Unterzeichner des Heidelberger Apells sind online abrufbar: Link zum Text [Stand: 12.02.2012]

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